Ferienzeit ist Entspannungszeit, viele haben nun die Gelegenheit, alles ein bisschen runter zu fahren und sei es nur, weil es draußen zu heiß ist!
Und also haben wir vielleicht Zeit uns ein paar Gedanken zu machen, uns selbst neu zu sortieren und sogar neue Fahrpläne fürs Leben aufzustellen.  Als Anregung ein Märchen von Leo Tolstoi:

Die drei Fragen

Ein König dachte einmal darüber nach, dass ihm nichts missglücken würde, wenn er immer den richtigen Zeitpunkt wüsste, um eine Sache zu beginnen; Wenn er ferner wüsste, mit welchen Menschen er sich abgeben sollte und mit welchen nicht, und wenn er wüsste, welches Werk das wichtigste von allen ist. Danach ließ er in seinem Land verkünden, dass er einen hohen Lohn demjenigen geben wolle, der ihn lehren würde, den richtigen Zeitpunkt für jedes Werk, den richtigen Menschen und das wichtigste Werk zu erkennen. Es kamen viele Gelehrte zum König und sie gaben ihm verschiedene Antworten auf seine Fragen….
Ich kürze mal ab…manche hielten eine klare Zeiteinteilung für die Antwort, andere sagten, man müsse immer wieder weise Männer befragen und andere sagten noch anderes. Ebenso waren sie sich uneinig über die Frage, wer die wichtigsten Menschen wären: Die Berater, die Priester, die Ärzte??? oder gar die Krieger?

Bei dem wichtigsten Werk wurden die Kriegskunst, die Wissenschaften und die Gottesverehrung genannt…
Da es keine klare Antwort gab, ging der König zu einem berühmten Einsiedler, der niemals seinen Wald verließ und nur einfache Leute empfing. Der König trennte sich also von seiner Leibwache und seinem Pferd und kam zum Einsiedler. Der Einsiedler grub vor seiner Hütte die Beete um, als der König sich ihm näherte, der Einsiedler erblickte ihn, begrüßte ihn und grub gleich weiter. Er war mager und schwach und atmete mühsam.
Der König begann zu reden: Ich komme zu dir weiser Mann, um dich zu bitten, mir drei Fragen zu beantworten: Welchen Zeitpunkt muss man stets im Sinn haben, um nichts zu versäumen und um hinterher nichts zu bereuen? Welche Menschen brauchen wir am notwendigsten, mit welchen Menschen muss man sich also mehr beschäftigen und mit welchen weniger? Welche Werke sind die wichtigsten? Welche Werke muss man vor allen anderen tun?

Der Einsiedler hörte den König an, sagte aber nichts, er spuckte in die Hand und grub weiter. „Du bist wohl müde?, fragte der König, „Gib mir den Spaten, ich will für dich graben!“ Danke!, sagte der Einsiedler. Er gab dem König den Spaten und setzte sich auf die Erde. Nachdem der König 2 Beete umgegraben hatte, hielt er inne und wiederholte seine Fragen.

Der Einsiedler gab ihm auch jetzt keine Antwort, stand auf und streckte seine Hand nach dem Spaten aus.
„Jetzt ruhe du dich aus und ich werde weiter graben.“ sagte er. Aber der König gab ihm den Spaten nicht und grub weiter. Es verging so eine Stunde und eine zweite, die Sonne begann hinter den Bäumen unterzugehen. Der König steckte den Spaten in die Erde und sagte: Ich kam zu dir, weiser Mann, damit du mir meine Fragen beantwortest, wenn du sie nicht beantworten kannst, so sage es mir offen und ich werde wieder nach hause gehen.

Da kommt jemand gelaufen, sagte der Einsiedler, wollen wir schauen, wer es ist. Und tatsächlich der König erblickte einen bärtigen Mann, der aus dem Wald hergelaufen kam. Der Mann hielt sich mit den Händen den Leib, und Blut strömte unter seinen Händen hervor. Er lief auf den König zu, stürzte zu Boden, schloss die Augen, rührte sich nicht, sondern stöhnte nur mit schwacher Stimme. Der König und der Einsiedler öffneten die Kleider des Mannes und sahen eine tiefe Wunde in seinem Leib. Der König wusch sie so gut er konnte, und verband sie mit seinem Taschentuch und mit dem Handtuch des Einsiedlers. Doch das Blut konnte man nicht stillen, und der König nahm immer wieder den nassen, mit warmen Blut durchtränkten Verband ab, um die Wunde von neuem zu verbinden. Als das Blut endlich gestillt war, kam der Verwundetet zu sich und bat um einen Trunk Wasser. Der König holte ihm frisches Wasser und stillte den Durst des Verwundeten. Inzwischen war die Sonne untergegangen, und es begann kühl zu werden. Der König und der Einsiedler trugen den Mann in die Hütte und legten ihn aufs Bett. Er schloss die Augen und wurde ganz still. Der König war müde von dem weiten Weg und von der Arbeit, so dass er sich vor dem Eingang der Hütte hinlegte und so fest einschlief, dass er die ganze kurze Sommernacht hindurch schlief. Als er am nächsten Morgen aufwachte, konnte er es nicht begreifen, wo er sich befand, und wer diese bärtige Mann dort war, der auf dem Bette lag und unverwandt mit strahlenden Augen den König anblickte.

„Vergib mir!“ sagte der bärtige Mann mit schwacher Stimme, als er bemerkte, dass der König erwacht war und ihn ansah. „Ich kenne dich nicht und habe dir auch nichts zu vergeben“, antwortete der König.
„Du kennst mich nicht, aber ich kenne dich, ich bin dein Feind, der Rache geschworen hat, weil du meinen Bruder hinrichten ließest und mir meine Habe weggenommen hast. Ich wusste, dass du allein zum Einsiedler gegangen warst, und ich wollte dich auf dem Rückweg töten! Der ganze Tag verging, und immer noch kamst du nicht zurück. So verließ ich mein Versteck, um nach deinem Aufenthaltsort zu sehen, und stieß dabei auf deine Leibwache, die mich verwundete. Ich floh und wäre verblutet und gestorben, hättest du dich meiner nicht angenommen. Ich wollte dich töten, aber du hast mein Leben gerettet. Wenn ich nun am Leben bleibe, so werde ich dir, wenn du erlaubst, als dein treuer Sklave dienen und auch meinen Söhnen dasselbe befehlen. Vergib mir!

Der König freute sich, dass es ihm so leicht gelungen war, sich mit seinem Feind zu versöhnen. Er vergab ihm nicht nur, sondern versprach ihm auch, seine Güter zurückzugeben und ihm seine Diener und einen Arzt zu schicken. Der König verabschiedete sich, ging aus der Hütte und suchte den Einsiedler, er wollte ihn noch ein letztes Mal bitten, seine Fragen zu beantworten.
Der Einsiedler war draußen und kroch auf den Knien zwischen den Beeten herum, die gestern gegraben worden waren und säte Gemüse hinein. Der König sagte: Weiser Mann, ich bitte dich zum letzen Male, beantworte mir meine Fragen!
Der Einsiedler antwortete: Die sind doch schon beantwortet! Wieso sind sie beantwortet, fragte der König!

Gewiss, sagte der Einsiedler, hättest du gestern nicht Mitleid mit meiner Schwäche gehabt und diese Beete für mich umgegraben, sondern wärst allein zurückgegangen, so hätte dich der Mann überfallen, und du hättest es bereut, nicht bei mir geblieben zu sein. Also war der richtige Zeitpunkt, als du meine Beete umgrubst; und ich war der wichtigste Mensch; und das wichtigste Werk war, mir Gutes zu tun. Dann später als der Verwundete hergelaufen kam, war der rechte Zeitpunkt, als du ihn pflegtest. Denn hättest du seine Wunde nicht verbunden, so wäre er gestorben, ohne sich mit dir ausgesöhnt zu haben. So war der Verwundete der wichtigste Mensch, und was du ihm getan, das wichtigste Werk.

So merke dir nun, es gibt nur eine wichtigste Zeit, das ist der Augenblick, denn nur in ihm haben wir Gewalt über uns. Der wichtigste Mensch aber ist der, mit dem du im Augenblick zusammenkommst, denn niemand kann wissen, ob nicht ein anderer sich um ihn bemühen wird. Und das wichtigste Werk ist, diesem Menschen Gutes zu tun, denn nur dazu ist der Mensch in die Welt gesandt.

Dieses Märchen erinnert mich an eine Geschichte in der Bibel: das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter. Aber das Märchen von Tolstoi ist konkreter und die Moral von der Geschicht´ ist eine, die unsere Überlegungen zu unserem Tun gut unterstützen kann: An jedem Tag, den wir erleben, entscheidet sich neu, ob unser Leben einen Sinn hat; wir haben jeden Tag neu die Chance, zur richtigen Zeit das Richtige an dem richtigen Menschen zu tun, dem nahe zu sein, der uns jetzt gerade braucht. Und das ist unabhängig von Alter, Nationalität, Intelligenz, Fitness, Reichtum oder Armut.

Ich wünsche Ihnen offene Augen für die Gelegenheiten das Richtige zu tun, Ihre Iris Gronbach