Taxi Teheran

Ich habe einen Film auf DVD gesehen, das heißt er ist nicht mehr ganz aktuell, aber darin kam etwas vor, was mich heute noch beschäftigt.

Taxi Teheran ist ein Film von Jafar Panahi, einem iranischen Regisseur, der seit 2010 mit einem Berufsverbot belegt ist, aber seit dieser Zeit mit Taxi Teheran 2015 schon den dritten Film heimlich gedreht und hinausgeschmuggelt hat.

In dem Film fährt der Regisseur als er selbst Taxi, verschiedene Menschen steigen zu ihm ins Auto und fahren eine kurze Strecke mit ihm, dabei passieren Dinge, entstehen Situationen und Gespräche, die von einer kleinen Kamera, die im Taxi angebracht ist, aufgenommen werden. Der Film hat also keine richtige Geschichte, sondern es sind kleine Häppchen, die einem da serviert werden. Interessant ist, dass man gleichzeitig auch einen Eindruck von der Stadt und den in ihr befindlichen Menschen bekommt.

Es werden verschiedene Themen angerissen: das Rechtsystem, die Komplikationen der Liebe, die Hindernisse in der Kultur, die Berufsverbote in verschiedenen Berufszweigen, der sich ausbreitende Aberglaube, das Frauenbild… Alle diese Themen werden aber mit einer eigenartigen Leichtigkeit behandelt, es wird nicht angeprangert, sondern es wird vielmehr gezeigt, wie es im Iran läuft und wie die Menschen es akzeptieren und in Maßen umgehen.

Ich kann gar nicht behaupten, dass mir der Film besonders gut gefallen hat, zu wenig, was sonst für mich einen guten Film ausmacht, ist in Taxi Teheran vorhanden. Es gibt keine Story, die Schauspieler sind nicht herausragend, die gezeigten Charaktere geben mir zu wenig Anhaltspunkte, als dass ich empathisch mitleiden könnte; und auch die durchaus interessanten Informationen sind im Grunde viel zu spärlich. Aber eine dieser kurzen Einblicke in den Alltag mancher Iraner beschäftigt mich nachhaltig.

Ein Freund des Regisseurs erbittet ein Treffen, sie haben sich schon lange nicht mehr gesehen, sind aber einander sehr verbunden, weil sie gemeinsam aufgewachsen sind. Er ist gut gekleidet und scheint gut situiert. Er gibt seinem Freund Jafar eine Aufnahme einer Überwachungskamera, diese zeigt, wie zwei maskierte Menschen ihn überfallen, verprügeln und ausrauben. Noch dazu berichtet er, dass er weiß, wer das war, weil er trotz Maskierungen die beiden erkannt hat. Es sind gute Bekannte von ihm. Sie sind nach dem Vorfall freundlich zu ihm, aber er verspürt eine große Wut gegenüber den beiden. Jafar der taxifahrende Regisseur fragt, ob er sie angezeigt hat. Und der alte Freund erklärt ihm, dass er das nicht könne. Erst vor kurzem sind im Iran einige Menschen wegen Raubüberfall hingerichtet worden. Er kann das nicht verantworten, dass seinen Bekannten das auch widerfährt. Außerdem ging es seinen Bekannten vor dem Überfall finanziell schlecht und jetzt stehen sie wieder auf eigenen Beinen, sie betreiben nun eine Saftbar, er kann sie einfach nicht anzeigen. Ja, noch nicht einmal darauf ansprechen möchte er sie. Aber es belastet ihn und darum musste er darüber reden. Er steigt aus dem Wagen und bedankt sich, dass sein Freund Jafar für ihn Zeit hatte, es würde ihm jetzt schon besser gehen.

Wir leben nicht im Iran oder einem anderen Land, in dem Menschen zu Tode verurteilt werden. Im Gegenteil, wir in Deutschland sind häufig der Meinung, dass die Strafen in unserem Land viel zu lasch sind, dass Straftäter viel zu oft viel zu leicht davon kommen. Darum ist es eigentlich müßig, darüber nachzudenken, wie ich, wie wir anstelle des Freundes handeln würden. Nichtsdestotrotz denke ich darüber nach ?. Und beim darüber Nachdenken stelle ich fest, dass diese passive Form von Selbstjustiz, über die aber selten gesprochen wird, natürlich auch bei uns stattfindet. Immer dann, wenn Menschen die Täter schützen wollen, weil es vielleicht Familienangehörige sind oder weil sie Angst haben, dass die Folgen für sie selbst nach Anzeige der begangenen Tat, noch schlimmer werden würden. Wie oft wird häusliche Gewalt nicht angezeigt! Wie oft verschweigen Menschen Vergewaltigungen!

Das Opfersein hat nicht nur die Komponente, mir ist etwas Schlimmes zugestoßen, sondern zieht auch die Fragen: Wie gehe ich damit? um nach sich. Wem erzähle ich davon, mit welchen Reaktionen muss ich rechnen, wie verändert es das Verhalten mir gegenüber? Wie vehement gehe ich bei der Verfolgungen der Täter vor? Überlasse ich das gänzlich dem Staat oder mache ich mehr Druck, gehe an die Öffentlichkeit, schreibe ich Belohnungen aus? Oder behalte ich Informationen für mich, um die Anderen oder auch mich selbst zu schützen? Und sind die Entscheidungen, die ich in dieser akuten Lebenssituation treffe, die richtigen oder werde ich sie in ein paar Wochen bereuen und kann sie dann aber nicht wieder rückgängig machen?

Das Leben ist komplex und über viele Dinge denkt man erst nach, wenn sie einem selbst passieren oder wenn man einen Input von außen bekommt…

Der alte Freund von Jafar setzt sich mit seiner Situation sehr differenziert auseinander. Er ist verletzt und bestohlen worden, ihm geht es nicht gut damit, er hat noch Schmerzen und diese Wut. Aber er denkt auch über das System, in dem er lebt, nach. Welche Rolle spielt er in dem System, dass er zum Teil ablehnt, wenn er sich in den Fragen der Justiz diesem System ganz unterwirft. Und dann denkt er auch noch über die Täter nach, warum geht es ihnen erst nach einem Raubüberfall wieder gut, warum hatten sie nicht vorher schon ein Leben, das funktionierte? Und haben nicht auch sie ein Recht darauf, schließlich sind es Menschen, die arbeiten wollen und ihren Teil zur Gemeinschaft beitragen. Vieles läuft schief, aber ist das dann ein Grund mehr an den Rädchen des Systems zu drehen oder sollte man eher versuchen seinen Teil dazu zu tun, dass das Leben Aller besser oder wenigstens erträglicher wird? Ist das realitätsfern und verträumt? Oder vielleicht der einzige Weg, um Dinge wirklich zu verbessern?

Der Film hilft einem nicht wirklich, eine Meinung zu bilden. Man bleibt mit sich selbst und den eigenen Gedanken und Gefühlen zurück. Man hat Mitgefühl mit dem Opfer, aber er hat ja für sich eine Lösung gefunden. Und was die Täter angeht, so lernen wir sie nicht kennen, wir erfahren nur und das gleich zweimal, dass es Menschen, wie alle anderen auch sind. Keine Monster, sondern Leute, wie Du und ich…

Vielleicht hilft uns die goldene Regel weiter: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!“ (Matthäus 7,12). Die goldene Regel, die übrigens in allen bekannten Kulturen ihren Platz hat, muss aber auch dort noch Bestand haben, wo sich jemand selbst nicht daran halten konnte oder wollte. Es ist dann eine Frage der Barmherzigkeit, die ja nur dann Sinn macht, wenn es auch eine Verfehlung gibt. Ich muss nicht barmherzig sein, wenn alles gut läuft.

Einen schönen Juni mit wertvollen Gedanken und Eindrücken wünsche ich Ihnen,

Ihre Iris Gronbach