Frühling

Es ist Frühling! Es ist Zeit, den Garten wieder fit zu machen, um den aufkeimenden Pflanzen Platz zu schaffen und die Reste des Winters wegzuräumen, die ein wenig nach Tod und Zerstörung aussehen. Bald wird alles wieder grün und lebendig und schön sein. Die meisten Menschen freuen sich darauf und gehen dementsprechend engagiert ans Werk! Und das, obwohl es viel Arbeit ist und auch noch Geld kostet. Aber die Vision später entspannt im schön bunten Garten zu sitzen und sich des Lebens zu freuen ist Motivation genug! Und wie großartig ist es, wenn dann alles gelingt! Ja, da hat sich die Arbeit dann gelohnt: das Bücken, Schneiden, Rechen, Sammeln und Neupflanzen! Und während man arbeitet und tut und macht, stellt man fest, da ist eine Kraft am Werk und dieser Kraft ebnen wir nur den Weg.

Blicke in dein Innerstes…

Da drinnen ist eine Quelle des Guten,

die niemals aufhört zu sprudeln,

solange du nicht aufhörst danach zu graben…

Marc Aurel

Interessant. Das ist ja wie bei unseren Gärten. Wenn Marc Aurel Recht hatte, ist auch in uns eine Kraft oder wie er es nennt eine „Quelle des Guten“. Wir sind gut. Eine starke Aussage, nicht unbedingt eine, die wir jeden Tag auch so erfahren. Im Gegenteil, meist kommt mir beim Anschauen der Welt und der Menschheit der Satz: „Der Mensch ist schlecht!“ in den Sinn. Denn immer wieder muss ich feststellen, dass Kleingeistigkeit, sich um sich selbst drehen, Neid, Gier und Angst das Handeln der Menschen bestimmt.

Die Nachrichten bieten da jede Menge Stoff! Die Panama-Papers, die zeigen, wie wenig die wirklich Reichen bereit sind, ihren Anteil an der Gemeinschaft mitzutragen. Die Flüchtlingskrise, die zeigt, dass viele Menschen bereit sind, VIEL Geld auszugeben, um Hilfe zu verhindern, anstatt dieses Geld für Leben Stiftendes zu investieren. Und ganz nebenbei boomt die Rüstungsindustrie wie schon lange nicht mehr…

In uns ist eine Quelle, des Guten, die nie aufhört zu sprudeln? Gerne würde ich das auch so sehen! Und ein kleines bisschen tue ich das auch, denn trotz allem, mag ich die Menschen. Vielleicht auch gerade, weil sie immer wieder klein sind und scheitern und Angst haben. Und vielleicht lässt sich das Steuer auch herumreißen, vielleicht müssen wir uns alle einfach daran erinnern, dass diese Quelle in uns ist und wir müssen sie freigraben, so wie wir es ja auch mit unseren Gärten machen. Nur, dass es sich in unserem Inneren bestimmt noch viel mehr lohnt! Also los, packen wir die Schaufeln aus und gehen ans Werk! Aber wie? Wo sollen wir anfangen? Wie können wir es anpacken?

Vielleicht müssen wir ein wenig aus unserem vermeintlich sicheren Schneckenhaus heraustreten; das Wohlbekannte hinterfragen, sich selber immer wieder mal auf die Probe stellen.

Viele Menschen versuchen das auf eine sehr unbequeme, eindrückliche Art. Da habe ich neulich von einem Selbstversuch gelesen: Eine Frau hat sich für einen Tag in einem Mainzer Vorort als Bettlerin ausgeben wollen. Sie hat den Tag nicht geschafft, weil sie mit der Lüge nicht zurechtkam, aber die Erfahrungen, die sie da gemacht hat, haben sie bestimmt geprägt. Sie wird sich bettelnden Menschen gegenüber in Zukunft anders verhalten. Sie wird sie sicherlich nicht mit Geldgeschenken überhäufen, aber sie wird versuchen, mehr Würde aufrecht zu erhalten, als sie es vorher getan hat.

Ein anderes Experiment, das ich sehr interessant fand ist vom zdf_neo gefilmt worden. Es heißt „Der Rassist in uns“. Da wurde ein Workshop angeboten, indem Menschen sich freiwillig, aber unwissend, denn sie wussten eigentlich gar nicht, worum es geht, einem Rassismus-Experiment unterzogen haben. Sehr spannend war dabei, zu sehen, wie Menschen, die diskriminiert werden, sich fühlen, aber fast noch spannender war, zu sehen, wie schnell normale, gebildete Menschen, sich dazu hinreißen lassen, Diskriminierung auszuführen.

Natürlich können sich nicht alle Menschen solch einschneidenden Erlebnissen aussetzen, aber wir können uns ja von den Erfahrungen Anderer anregen lassen, in uns selbst hineinzufühlen oder uns einfach zum Nachdenken animieren lassen. Wir können uns selbst reflektieren! Was geht in uns vor, wenn wir auf eine bestimmte Art behandelt werden! Wie handeln wir selbst?

Und das sind häufig die Kleinigkeiten des Lebens, die durch kleine Änderungen unser Leben und unsere Wahrnehmung auf den Kopf stellen können. So können wir uns mal selber testen, ob es uns wohler tut, wenn wir in der Straßenbahn sitzen, während ganz viele Leute weniger Glück gehabt haben und stehen müssen oder wenn wir aufstehen für jemanden, der es offensichtlich nötiger hat: Die Mutter mit Kind oder der Mann mit schweren Einkäufen bepackt. Haben wir mehr Genugtuung durch unseren eigenen Komfort oder durch die freudenspendende Interaktion mit Anderen? Ist es besser zuhause zu sitzen und Angst zu haben vor dem Fremden oder sich zu trauen, hinauszugehen und das Fremde kennenzulernen? Und macht es glücklich, die falschen Dinge zu tun, nur weil man mit dem Finger auf Andere zeigen kann, die ganz offensichtlich noch falschere Dinge tun?

Es ist Frühling, Aufbruchzeit. Neues beginnt, wir heißen es willkommen, nicht nur in der Natur, sondern auch in uns selbst. Das könnte spannend werden!

Viel Erfolg beim Graben wünscht Ihnen

Iris Gronbach

P.S.: Wer das Experiment anschauen möchte, findet es hier