Es ist Sommer….

Es ist Sommer…
…die Zeit des Verreisens für Viele, manch einer macht sich auf den Weg. Für viele ist das Ziel Entspannung, manche wollen neue Impulse für sich finden und gehen auf Entdeckungsreise, aber fast immer geht es darum, den Alltag zu durchbrechen und gleichzeitig neue Kraft für diesen zu finden.
Neulich habe ich in einem Henryk M. Broder Artikel folgende kurze Geschichte gelesen:
Ein alter Jude sitzt in einem Zug, sagen wir von Limanowa nach Dabrowa in Galizien. Keine lange Strecke, aber es ist ein langsamer Personenzug, der an jeder Station hält. Und jedes Mal bricht der alte Jude in lautes Wehklagen aus. „Allmächtiger, ich bin verloren, was soll ich nur machen …“
Schließlich erbarmt sich einer der Mitreisenden. „Was haben Sie denn, kann ich Ihnen helfen?“ „Mir kann niemand helfen“, sagt der alte Jude mit Tränen in den Augen, „ich sitze im falschen Zug, und mit jedem Halt wird die Rückreise länger.“
Bedauernswert erscheint mir der alte Mann, denn er verzweifelt an einer unsinnigen Situation. Er sitzt im Zug und wird von Station zu Station unglücklicher. Abhilfe liegt eigentlich klar auf der Hand, aber irgendetwas hindert ihn, das zu sehen oder die nötige Maßnahme zu ergreifen: AUSSTEIGEN!
Niemand kann ihm helfen, so befindet er seine Situation. Und Recht hat er. Nur er selbst könnte sich helfen, aber er tut es nicht. Er sitzt da und sieht seine Situation immer schlechter werdend, weil er sich immer mehr von seinem Ziel entfernt und der Weg zurück immer länger wird, ja fast gar nicht mehr machbar erscheint.
Geschichten dieser Art bringen einen zum Schmunzeln, aber man lacht selten aus vollem Hals, denn man weiß, so verrückt die Situation auch zu sein scheint, so sehr wahr ist sie doch für uns alle immer mal wieder. Denn das Gefühl, dass wir im falschen Zug sitzen und so langsam unser Ziel vor Augen verlieren, das kennen wohl die Meisten.
Da hat Gregor damals nach der Schule überlegt, was er beruflich sinnvoll tun kann und hat sich vielleicht für etwas entschieden, dass eben nicht das Finanzielle in den Vordergrund rückt, sondern mehr sozial angelegt ist. Er wollte an etwas Gutem teilhaben, die Welt ein bisschen besser machen, seine Talente einsetzen für das Wohl der Anderen. Das Wort Nächstenliebe spielte eine Rolle. Aber eine Station nach der Nächsten führte weiter weg vom Ziel. Und am Anfang hat er es vielleicht noch gar nicht gemerkt, denn er war in voller Fahrt! Aber irgendwann schaute Gregor sich die Wegstrecke an und stellte fest: es geht ja doch nur ums Geld. Vielleicht gar nicht mal bei ihm selbst, sondern in dem System, in dem er wirkt. Und dann fährt er noch ein paar Stationen, denn er denkt, kann man ja eh nichts daran ändern, aber die Umgebung verändert sich immer mehr und wenn Gregor ehrlich ist, gefällt sie ihm gar nicht mehr. Aber er steckt fest in dem System, aber nicht nur dort, sondern auch in den eigenen Dingen: Ansehen, finanzielle Sicherheit, Trägheit, Verantwortung für das private Leben, das er sich aufgebaut hat. Es würde alles so sehr schwierig werden, wenn er jetzt ausstiege und versuchen würde auf den richtigeren Weg zu kommen. Gregor wird unglücklich und niemand kann ihm helfen…
Da hat Valerie sich damals umschmeicheln lassen. Er sah ja aber auch gut aus und war so charmant. Eigentlich hatte sie ja andere Pläne, wollte ins Ausland und danach studieren, aber sie war frisch verliebt, sie wollte mit ihm zusammen sein und „alles“ konnte sie halt nicht haben. Das hat er ihr immer wieder erklärt. Und sie hat es dann auch eingesehen. Also hielt sie ihr Licht klein, machte eine Ausbildung, damit sie schnell Geld nach Hause brachte, um sein Studium mitzufinanzieren. Alles lief prima, er bekam eine gute Anstellung, Hochzeit, das erste Kind, sie ging raus aus dem Job, Hausbau, das zweite Kind. Beide rackerten sich ab, sie zuhause und er bei der Arbeit. Freiräume gab es kaum. Keine Zeit mal einen Schritt zur Seite zu machen und zu genießen, was sie geschafft haben. Sie haben funktioniert und alles lief wie es sich gehört. Aber immer wieder kam bei Valerie doch mal ein komisches Gefühl auf. Es war Unzufriedenheit, sie wurde schlecht gelaunt, aber das fand sie eigentlich nicht gerechtfertigt, denn sie hatte doch alles, was man braucht. Die Kinder waren gesund, der Ehemann hatte eine gute Anstellung, das Haus war gelungen und geschmackvoll eingerichtet, was will man denn mehr!? Und sie gab sich noch mehr Mühe… Als die Kinder das schöne Haus verließen, um ihren eigenen Weg ins Leben zu starten, voller Energie und Träume, stellte Valerie fest, dass sie selbst sich verfahren hatte, helfen konnte ihr da auch keiner mehr…
Es gäbe viele verschiedene Geschichten, die zeigen, dass wir uns im Leben immer wieder mal in den falschen Zug setzen. Das ist normal und vielleicht auch bereichernd, denn vielleicht wäre es ja auch gar nicht gut, wenn alles immer nach Fahrplan laufen würde. Einiges kann man ja auch am Anfang der Reise gar nicht überblicken, und da man die Lebensreise ja nie alleine antritt und das auch gar nicht will, kommt es unweigerlich zu Verschiebungen und Änderungen. Entscheidend ist, dass wir den Blick immer wieder mal darauf richten, ob das noch im Einklang mit uns selbst ist. Und dass wir, wenn wir feststellen: „Das ist es nicht!“, den Kurs ändern oder aussteigen, je früher desto besser…
So richtig schlimm wird es, wenn wir, wie der alte Mann in der Geschichte, sitzen bleiben und lamentieren.
Es ist Sommer… Zeit des Verreisens. Vielleicht finden Sie in den kommenden Wochen ein wenig Zeit, Ihre persönliche Lebensreise unter die Lupe zu nehmen und können sogar die eine oder andere Kurskorrektur vornehmen.
Eine gute Reise wünscht Ihnen
Iris Gronbach